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EM: Donnarumma wird für Italien zum Held - Drei Dinge, die im Finale gegen England auffielen

Dennis Melzer

Update 12/07/2021 um 08:21 GMT+2 Uhr

England hoffte, England bangte, England weinte am Ende. Die Three Lions mussten sich im EM-Finale Italien geschlagen geben. Nachdem Luke Shaw nur wenige Augenblicke nach Anpfiff ein ganzes Land in Ekstase versetzt hatte, schlug Leonardo Bonucci in der 67. Minute zurück – Gianluigi Donnarumma stürzte das Königreich letztlich ins Tal der Tränen. Drei Dinge, die auffielen.

Italien-Torwart Gianluigi Donnarumma

Fotocredit: Getty Images

Er war an den Ort zurückgekehrt, in dem einst seine Wiege stand, betrat sein Geburtshaus, das er seit 1966 nicht mehr besucht hatte, bereits mit einem Fuß. Doch auf der Schwelle machte er plötzlich kehrt. Eine Belladonna hatte in letzter Sekunde angerufen, lockte ihn von Zuhause weg, zitierte ihn von der Insel an den Stiefel. Der Fußball, er kam an diesem Sonntagabend letztlich doch nicht nach Hause.
Dabei hätte der Start ins Endspiel der Europameisterschaft aus Sicht der Engländer nicht besser laufen können. Im eigenen Wohnzimmer, dem Fußballtempel namens Wembley-Stadion, gingen die Hausherren bereits in der 2. Minute dank einer satten Direktabnahme von Flügelspieler Luke Shaw in Führung. Die Three Lions wirkten in der gesamten ersten Hälfte taktisch hervorragend eingestellt, ließen die hochgelobte Squadra Azzurra kaum zur Entfaltung kommen.
Erst nach dem Seitenwechsel agierte die Mannschaft von Trainer Roberto Mancini berherzter, erspielte sich mit fortdauernder Spielzeit ein deutliches Übergewicht. Die Folge: Nachdem England-Schlussmann Jordan Pickford gleich mehrfach seine Klasse unter Beweis gestellt, Englands fragile Führung festgehalten hatte, staubte Leonardo Bonucci nach einer Ecke zum 1:1 ab (67.).
Ein Ergebnis, das bis zum Ende der regulären Spielzeit Bestand hatte. Auch während der 30-minütigen Verlängerung konnte kein Sieger ermittelt werden. Es folgte das Elfmeterschießen, ebenjene Lotterie, bei der England traditionell eher Nieten denn Hauptpreise absahnt. Auch diesmal hielt die Entscheidungsfindung vom Punkt keine Tränen der Freude bereit. Mit Marcus Rashford, Jadon Sancho und Bakayo Saka verschossen gleich drei Engländer, da aufseiten der Italiener nur zwei Akteure scheiterten, durfte die Mancini-Truppe den EM-Pokal gen Londoner Nachthimmel recken.
Drei Dinge, die uns im EM-Finale auffielen.

1. Ein Southgate-Kniff greift, sein anderer Trick geht in die Hose

England-Trainer Southgate hatte seine Mannschaft im Vergleich zum Halbfinal-Duell mit Dänemark personell kaum verändert, nur ein Unterschied fand sich auf dem Aufstellungsbogen wieder: Saka musste zunächst auf der Bank Platz nehmen, für ihn rückte Kieran Trippier in die Startelf. Ein Schachzug, der sich jedoch erheblich auf das System des Teams auswirkte: Agierten die Engländer gegen die Skandinavier noch mit Viererkette, liefen sie im Endspiel mit einer Dreierkette auf, die im Falle des gegnerischen Ballbesitzes mithilfe der Außenbahnspieler Trippier und Luke Shaw in eine engmaschige Fünferkette transformiert werden sollte.
Zunächst glänzte das Duo aber nicht in der Defensive, sondern sorgte im Spiel nach vorne für Furore. Nach einer abgewehrten Ecke schwärmte Englands Mannschaft aus, Angreifer Harry Kane, der einmal mehr als Spielmacher und Mittelstürmer in Personalunion auftrat, verlagerte das Spiel auf die rechte Seite, auf der Trippier die Kugel in Empfang nahm, den Kopf hob und aus dem Halbfeld seinen Partner auf links, besagten Shaw, ausmachte und punktgenau bediente. Shaw bedankte sich artig, indem er die Vorlage mit einer Direktabnahme veredelte.
Southgate hatte seinem Trainerkollegen Mancini ein Schnippchen geschlagen, die essentiellste Umstellung überrumpelte das sonst so sattelfeste Italien sofort. Ein Plan, der besser nicht hätte aufgehen können, vermochte es der viermalige Weltmeister in der Folge doch nicht, sich von dem frühen Schock zu erholen. 1:0 für Southgate.
Während der erste Kniff griff, ging ein zweiter Southgate-Trick jedoch gänzlich in die Hose: Kurz vor Schluss der Verlängerung brachte Englands Übungsleiter in Marcus Rashford und Jadon Sancho zwei vermeintlich nervenstarke Elfmeterschützen, die auch in ihren Klubs in der jüngeren Vergangenheit als sichere Schützen in Erscheinung getreten waren.
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Jadon Sancho (mitte) mit Gareth Southgate (r.) und Jordan Henderson

Fotocredit: Getty Images

Ausgerechnet Rashford und Sancho scheiterten schließlich vom Punkt, der ebenfalls eingewechselte Saka brachte seinen Versuch ebenfalls nicht im Kasten unter, weshalb am Ende Italien und nicht England jubelte.
Rückblickend betrachtet ein Southgate-Eigentor, aber im Nachgang lassen sich derlei "Fehler" nun einmal besonders einfach zerpflücken. Dennoch: Zwei Spieler, die über weite Strecken des Turniers kaum eine Rolle in Southgates Planungen spielten, dementsprechend auch nicht über enormes Selbstbewusstsein verfügt haben dürften, ausgerechnet für das Elfmeterschießen mit derart viel Verantwortung zu betrauen, kann als mindestens unglücklich deklariert werden.

2. Immobile raus, Italien drin

Das Turnier hätte aus Sicht Ciro Immobiles kaum erfreulicher starten können – sowohl im Auftaktspiel gegen die Türkei als auch in der zweiten Gruppenbegegnung mit der Schweiz steuerte der ehemalige Dortmund-Angreifer jeweils einen Treffer bei. Nachdem er gegen Wales für die K.o-Runde geschont worden war, fand Immobile allerdings nicht mehr so richtig in die Spur.
Während seine Auftritte phantomeske Züge annahmen, waren es seine Kollegen, die in der Offensive zu begeistern wussten. Allen voran Juventus-Star Federico Chiesa spielte sich in den Fokus, Immobile hingegen fristete bisweilen ein Schattendasein.
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Italiens Angreifer Ciro Immobile

Fotocredit: Getty Images

So auch im Finale, das sinnbildlich für Immobiles persönlichen Turnierverauf stand. Lediglich 25 Ballaktionen verbuchten die Statistiker, nur einen seiner drei direkten Zweikämpfe gestaltete der 31-Jährige erfolgreich, einen Schuss aufs gegnerische Tor brachte er nicht zustande.
Ein Arbeitsnachweis, der ihm einen vorzeitigen Feierabend bescherte, nach 55 Minuten war für Immobile Schluss. Mancini brachte Domenico Berardi ins Spiel, der Immobile nicht positionsgetreu ersetzte, sondern auf den rechten Flügel rückte. Chiesa wechselte auf die linke Bahn, Lorenzo Insigne gab fortan eine falsche Neun.
Die Umstellung, die sich aus Immobiles Herausnahme ergab, wirkte sich positiv aufs Spiel der Italiener aus. Plötzlich trat die Mannschaft deutlich dominanter auf, erspielte sich deutlich mehr Abschlüsse und somit aussichtsreiche Chancen auf den Ausgleich. Einzig Pickford verhinderte, dass Italien schon vor Bonuccis Abstauber-Tor etwas Zählbares auf die Anzeigetafel brachte.
Erst nach dem 1:1 schaltete Mancinis Team wieder einen Gang zurück, drängte gegen zwischenzeitlich überraschend passive Engländer aber nicht konsequent auf das Siegtor.

3. Nur er konnte der Held werden: Donnarumma pariert Italien zum Triumph

Wahrscheinlich war es ein Freundschaftsdienst, ein Versuch des Tröstens, als Bastian Schweinsteiger seinen ehemaligen Kollegen Manuel Neuer im Anschluss ans DFB-Achtelfinal-Aus gegen England zum "besten Torhüter des Turniers" erklärte. Großartig ausgezeichnet hatte sich Neuer im Verlauf der EM nicht, andere Keeper hätten seinerzeit den Schweinsteiger-Ritterschlag deutlich mehr verdient gehabt.
Abschließend geklärt wurde die Frage, wer denn nun wirklich der beste Torhüter der EM ist, erst im letzten Spiel des Wettbewerbs: Donnarumma, der zu Beginn (dank seiner defensivstarken Vorderleute) kaum geprüft wurde, entwickelte sich im Laufe der EM zu einem verlässlichen, sicheren Rückhalt.
Insbesondere im Halbfinal-Duell mit Spanien, in dem er einige sehenswerte Paraden zeigte und im Elfmeterschießen im entscheidenden Moment Álvaro Moratas Versuch abwehrte, unterstrich Donnarumma seine Klasse.
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Gianluigi Donnarumma im Elfmeterschießen gegen England

Fotocredit: Getty Images

Im Finale avancierte der ehemalige Mailänder, der künftig aller Voraussicht nach das Tor von Paris Saint-Germain hüten wird, nicht nur vollumfänglich zum italienischen Nationalhelden, sondern sogar hochoffiziell zum besten Spieler der EM. Bei Shaws Schuss ohne Abwehrchance, lenkte er später einen Kopfball von John Stones kurz vor Italiens Ausgleich über die Latte (64.), ansonsten verlebte Donnarumma einen einigermaßen ruhigen Abend.
Bis zum Elfmeterschießen. Es kam auf ihn an, das Wohl und Wehe des italienischen Fußballs hing mit einem Mal an seinen Händen. Er lieferte. Fand Rashford noch im Außenpfosten seinen Meister, mussten sich Sancho und Saka gegen den 1,96-Mann geschlagen geben, der abgezockt und cool zunächst auf einen ausufernden Jubellauf verzichtete.
Donnarumma galt lange Zeit als Ausnahmetalent, war früh die Nummer eins beim Traditionsklub AC Mailand. In der Nationalmannschaft galt es quasi unfüllbare Fußstapfen auszufüllen, die Bürde, den jahrzehntelangen, den ewigen Gigi Buffon beerben zu müssen, lastete bisweilen merklich auf dem Youngster.
Nach der erfolgreichen Europameisterschaft darf der 22-Jährige berechtigterweise aus Buffons Schatten treten. Donnarumma hat das Zeug dazu, in naher Zukunft der beste seiner Zunft zu werden – und viele weitere eigene Geschichten zu schreiben.
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