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Tour de France: Jens Voigt checkt die Teams - Politt ist das Pogacar-Taschenmesser und Bora hat eine Schwachstelle

Eurosport
VonEurosport

Publiziert 28/06/2024 um 09:32 GMT+2 Uhr

Die Tour de France 2024 verspricht mit einem Vierkampf der Superstars absolute Höchstspannung. Mit großen Namen gespickt sind auch die Helfergarden von Tadej Pogacar, Jonas Vingegaard, Primoz Roglic und Remco Evenepoel - aber welcher Favorit hat die stärkste Mannschaft an seiner Seite? Eurosport-Experte Jens Voigt macht den exklusiven Teamcheck bei den Spitzenrennställen.

Tour-Strecke 2024: Alle 21 Etappen von Florenz nach Nizza

Liebe Radsportfans,
die Vorfreude auf die 111. Tour de France steigt, am nächsten Samstag geht es in Florenz los und das Feld macht sich auf die dreiwöchige Reise bis zum Ziel in Nizza.
Ich habe mir für Euch die fünf stärksten Teams und ihre Fahrer genau angeschaut, ihre Saisonbilanz analysiert und dann einen Vergleich gewagt, wer aus dem Kreis der Topfavoriten die beste Unterstützung hat.
Ich wünsche Euch viel Spaß damit!
UAE Team Emirates (45 Siege durch 12 Fahrer):
Der Rennstall um Tadej Pogacar, den mit 14 Siegen dominierenden Fahrer der bisherigen Saison, hat nicht nur mit seinem Superstar abgeräumt und die Konkurrenz weit abgehängt. Große Erfolge gab es dabei durch Juan Ayuso bei der Baskenland-Rundfahrt und mit dem Doppelsieg von Adam Yates und Joao Almeida bei der Tour de Suisse. In manchen Jahren haben die Sieger solcher Rennen dann wenig später auch die Tour gewonnen, doch bei UAE werden sie alle drei "nur" Helfer für Pogacar sein. Sogar neben einem Seriensieger wie ihm kann man aber auch selbst glänzen, das zeigt die erste Saisonhälfte der Mannschaft eindrucksvoll.
Visma-Lease a Bike (19 Siege/6 Fahrer):
Tour-Titelverteidiger Jonas Vingegaard allein hatte bis zu seinem schweren Sturz schon sieben Siege eingefahren – mehr als manches WorldTour-Team zusammen. Doch der Rennstall war in diesem Jahr auf unglaubliche Weise vom Pech verfolgt, denn auch Wout van Aert stürzte schwer, der Giro konnte nur mit vier Fahrern beendet werden und bei der Dauphiné verletzten sich zwei weitere Fahrer so sehr, dass sie die Tour verpassen. Aber es gab auch großartige Lichtblicke: Matteo Jorgensen gewann Paris - Nizza und wurde Zweiter bei der Dauphiné, Jan Tratnik holte den Klassiker Omloop Het Nieuwsblad, van Aert war bei Kuurne - Brüssel – Kuurne vorn und ist jetzt wieder fit: Er wird bei der Tour wie immer spektakulär fahren.
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Trauma für Roglic & Co.? Pogacar blickt auf Horror-Sturz im Baskenland

Soudal Quick-Step (22 Siege/6 Fahrer):
Die Saison lief bisher sehr durchwachsen, das Team und Remco Evenepoel erlebten eine echte Achterbahnfahrt: Sieger der Algarve-Rundfahrt, Zweiter von Paris - Nizza, dann Sturz im Baskenland, beim Comeback in der Dauphiné Gewinner des Zeitfahrens, aber am Ende  "nur" 7. der Gesamtwertung. Julian Alaphilippe hatte ein schwieriges Frühjahr mit Sturz, kämpfte sich zurück und erkämpfte eindrucksvoll eine Giro-Etappe. Sprinter Tim Merlier besserte mit 12 Siegen die Bilanz praktisch im Alleingang auf. Bei den für diese Mannschaft so wichtigen Frühjahrsklassikern gelang kein Triumph, dafür aber vier Etappensiege im Giro. Eine solide Bilanz, aber nicht so überragend wie sonst so oft beim "Wolfpack".
Bora-hansgrohe (16 Siege/7 Fahrer):
Auch Bora blieb vom Pech nicht verschont, besonders Lennard Kämna und auch Kapitän Primoz Roglic erwischte es. Aber als der Slowene wieder zurück war, hat er direkt die Dauphiné gewonnen und dort zwei Etappen für sich entschieden - er scheint trainingstechnisch voll im Soll zu liegen.
Aleksandr Vlasov zeigte bisher eine sehr solide Saison mit Top-5-Plätzen bei Paris – Nizza, der Valencia-Rundfahrt und in Katalonien. Auch Roglics zweiter Edelhelfer, Jai Hindley, beeindruckte mit teils starken Leistungen. Nicht vergessen sollten wir den etwas überraschenden, aber sehr starken zweiten Gesamtrang von Daniel Martinez beim Giro d'Italia und die bisher vier Sprintsiege von Sam Welsford. Eine tolle Bilanz auf der Habenseite für die deutsche Mannschaft.
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Roglic klettert zum nächsten Sieg: "Da bleibt kein Auge trocken"

Ineos Grenadiers (11 Siege/6 Fahrer):
Mit Altmeister Geraint Thomas hat der Rennstall wieder ein tolles Podium beim Giro gefeiert, Tom Pidcock gewann das Amstel Gold Race und Carlos Rodriguez u.a. die Tour de Romandie. Außerdem vernaschte Jhonatan Narváez beim Giro-Auftakt sogar Pogacar. Aber alles in allem sind elf Siege für eine solche Mannschaft nicht genug. Immerhin haben sie diese Rennen mit sechs verschiedenen Fahrern gewonnen, was für eine Stärke in der Breite spricht.

Tour de France: Jens Voigts Teamvergleich

Eines ist ganz klar: Team UAE ist im Vorteil! Auch wenn die Konkurrenz für Pogacar bei der Tour viel stärker sein wird als beim Giro - seine Mannschaft wird auch deutlich stärker sein. Er war mit einem B-Team in Italien, wenn ich das mit allem Respekt so schreiben darf, von dem keiner dieser Helfer mit ihm das Double angehen wird. Mit Ayuso und Yates als Edelhelfern wird Pogacar ganz sicher in diesem Jahr im Hochgebirge keine Probleme haben.
Anders sieht das mit seiner Unterstützung bei Windkanten oder auf der Gravel-Etappe aus: Für diese Jobs nimmt man nur Tim Wellens und Nils Politt mit. Da wird Nils über sich hinauswachsen müssen, er wird das Schweizer Armeemesser seiner Mannschaft sein: Tempo fahren, Gruppen kontrollieren, Manndecker für Pogacar, klassischer Wasserholer, als Relaisstation für Pogacar in eine Gruppe gehen, Wegbereiter für seinen Kapitän auf dem Gravel - diese und viele andere Jobs warten auf Nils. Und wisst ihr was? Er wird sie alle souverän erfüllen.
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Pogacar will das Double: Ausblick auf den großen Tour-Vierkampf

Voigt: Bora hat eine Achillesferse

Als zweitstärkste Mannschaft sehe ich Bora-hansgrohe mit dem sehr starken Primoz Roglic, der in Hindley und Vlasov zwei Top-Helfer am Berg hat, die eine ähnliche Qualität aufweisen wie Ayuso und Yates. Wir werden ganz sicher Situationen sehen, in denen am letzten Berg immer noch beide bei ihrem Kapitän sein werden. Auch für Flachetappen und mittelschweres Terrain ist die Mannschaft hervorragend aufgestellt.
Die Achillesferse wird die Sturzanfälligkeit von Roglic sein, wie zuletzt wieder zweimal bei der Dauphiné. Mit 34 Jahren ist es seine vielleicht letzte Chance, die Tour zu gewinnen. Schmerzhaft für die Bora-Sprinter ist, dass sie zu Hause bleiben müssen, aber mit acht Fahrern pro Mannschaft ist es richtig und vernünftig, nur eine eingleisige Strategie zu fahren. Nicht stürzen und in der letzten Woche keinen Einbruch zu haben ist hier der Schlüssel zum Erfolg.
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Bora-Star Roglic nach Sturz in Sorge um seine Schulter

Das gilt auch für Evenepoel. Mit dem Belgier hat Soudal einen großartigen Fahrer - allerdings mit durchwachsener Bilanz und nicht immer stabilen Leistungen bei Grand Tours: Einmal hat er souverän gewonnen, zweimal kam er nicht ins Ziel, einmal brach er im Führungstrikot ein, kam dann aber mit spektakulären Etappensiegen zurück. Jetzt heißt es für ihn "Ente oder Trente":
Entweder steigt in den Kreis der Grand-Tour-Legenden auf oder er bleibt das ewige Talent, das immer fast gewonnen hat -  aber nur fast. Enric Mas ist auch  so ein Fall: Er ist ein toller Rennfahrer, aber kein Siegmaterial für eine Grand Tour.
Bei Soudal wurde mit Mikel Landa ein sehr starker Helfer fürs Gebirge geholt, aber eben nur einer. Evenepoel ist sicher stark genug, um mit um den Sieg zu fahren, aber seine Mannschaft ist eindeutig schwächer als Bora oder UAE. Nicht vergessen sollten wir, dass er Weltmeister im Zeitfahren ist und diese Tour zwei solcher Prüfungen auf dem Programm hat.
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Evenepoel fängt Tarling ab - Roglic fällt im Finale zurück

Visma: Geht die Doppelstrategie auf?

Für Visma ist dieses Jahr vieles anders. Erstmalig ist Roglic nicht an der Seite von Vingegaard oder zumindest neutral zu Hause, sondern wird gegen ihn fahren. Dazu fehlt dem Dänen mit Nathan Van Hooydonck ein weiterer wichtiger Helfer früherer Jahre. Hoffentlich finden Christophe Laporte und van Aert wieder zu alter Stärke. Es wird wieder spannend sein, ob die Doppelstrategie bei Visma mit den Freiheiten für van Aert aufgeht. Und ganz ehrlich, irgendwann muss das Pech der letzten Monate ja mal verschwinden und das Glück wieder auf diese Mannschaft herablächeln.
Ineos schließlich hat die ausgeglichenste Mannschaft. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie drei Fahrer am Ende in den Top Ten hätten - aber eben auch keinen auf dem Podium. Carlos Rodriguez und Tom Pidcock können sicher lange vorne mithalten, aber am Schlussanstieg 1:1 gegen Pogacar oder Roglic anzutreten, traue ich ihnen in dieser Saison nicht zu. Trotzdem werden sie eine tolle Show bieten und auch um Etappensiege mitfahren.
Pidcock könnte mit einigen spektakulären Fluchten auf Bergetappen auch das Bergtrikot mit nach Hause nehmen, aber im Gesamtklassement wird er sich bei aller Klasse schwertun. Dafür ist die Mannschaftswertung sehr gut möglich für dieses Team, denn da sind ja auch noch der bei der Tour de Suisse sehr solide Egan Bernal sowie Thomas Trumpfkarten. Von allen fünf Mannschaften wird es Ineos am schwersten haben, aufs Podium in der Einzelwertung zu kommen: Viele sehr gute Fahrer, aber kein Kapitän, der das garantierte Ergebnis einfährt.
Bei aller Kaffeesatzleserei in meinen Thesen und Überlegungen - eines ist garantiert: Es wird eine extrem aufregende und spannende Tour für uns als Zuschauer und Kommentatoren!
Ich freue mich auf die 1. Etappe,
Euer Jens
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Streckencheck zum Tour-Auftakt: "Hier wird's richtig krachen!"


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