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Hannes Reichelt im Eurosport-Interview über den ÖSV, das Duell Kilde gegen Odermatt und Hirschers Skimarke Van Deer

Christoph Niederkofler

Update 14/12/2022 um 19:14 GMT+1 Uhr

Am Donnerstag steigt beim Weltcup in Gröden die dritte Abfahrt der Saison. Dabei sind alle Augen auf die Dominatoren Marco Odermatt und Aleksander Aamodt Kilde gerichtet. Währenddessen hinken Österreichs Skifahrer hinterher und lechzen nach ihrer einstigen Stärke. Hannes Reichelt, der Super-G-Weltmeister von 2015, erklärt im Eurosport-Interview unter anderem, wo die Probleme der Ski-Nation liegen.

Mit Lederhose und Sektdusche: Reichelt verabschiedet sich

Matthias Mayer und Daniel Hemetsberger fuhren die einzigen beiden Podestplätze für die Speed-Herren des ÖSV in der laufenden Saison ein, Vincent Kriechmayr schrammte knapp am Podium vorbei. "Dahinter wird es aber schwierig, da kommt ewig nichts", bemängelt der ehemalige ÖSV-Star Hannes Reichelt im Eurosport-Interview die Leistungsdichte bei den Österreichern.
Die Ursache für den Leistungseinbruch im einst so stolzen Speed-Sektor der Ski-Nation macht der 42-Jährige in der Ausbildung fest. "Die Schuld daran gebe ich den Trainern", erklärt der Abfahrtssieger von Kitzbühel 2014 weiter und erkennt ein strukturelles Problem. "In den letzten Jahren ist es verschlafen worden, ein Fundament aufzubauen."
Während der ÖSV die Versäumnisse der vergangenen Jahre aufarbeiten muss, fegen die beiden Dominatoren Marco Odermatt und Aleksander Aamodt Kilde über den Ski-Zirkus hinweg. Beim Weltcup in Gröden, den Reichelt als Experte am Eurosport-Mikrofon begleiten wird, geht der Schlagabtausch in die nächste Runde.
Doch Reichelt weiß: Auf der Saslong gelten andere Gesetze. In seiner Analyse geht der 13-malige Weltcupsieger auf die Schlüsselstellen ein und erläutert, wer in Gröden (15. bis 17. Dezember live bei Eurosport und discovery+) die besten Karten hat. Darüber hinaus lobt er Thomas Dreßen für dessen Comeback und verrät, warum es für den DSV-Star wieder aufwärts geht. Den Hype um Marcel Hirscher und dessen neue Ski-Marke Van Deer kann der Österreicher indes nicht nachvollziehen und führt die Gründe für den schnellen Erfolg von Van Deer an.
Das Interview führte Christoph Niederkofler
Vor zwanzig Jahren feierten Sie bei ihrem zweiten Weltcupeinsatz völlig überraschend den ersten Podestplatz ihrer Karriere - ausgerechnet in Gröden. Was geht Ihnen bei dieser Erinnerung durch den Kopf?
Hannes Reichelt: Damals war ich noch ein Jungspund und habe selbst nicht gewusst, was mit mir gerade passiert. Im zweiten Weltcup-Rennen kann man eigentlich nicht erwarten, dass man direkt auf dem Podium steht. Aber auch nach Startnummer 30 war die harte Piste noch in perfektem Zustand. Wenn man gut gefahren ist, hatte man also eine große Chance, noch vorne reinzufahren. Neben mir hat auch Aksel Lund Svindal, mit dem ich mich während unserer Zeit im Europa Cup duelliert habe, die Top 10 geknackt. Da habe ich Svindal noch geschlagen... in den Jahren danach hat er es mir deutlich härter heimgezahlt (lacht).
Wie Sie selbst bewiesen haben, kann man in Gröden auch mit einer hohen Startnummer in die Spitzenplätze rauschen. Was ist der Schlüssel zum Erfolg auf der Saslong?
Reichelt: Im Super-G musst man komplett am Limit fahren und darf bei seiner Linienwahl nichts verschenken - sonst landet man weit hinten. Dadurch, dass man sich stets am Limit bewegt, ist der Super-G sehr anspruchsvoll. Durch die vielen Wellen kommt man leicht von der Ideallinie ab, weshalb man immer darauf achten muss, das Tempo irgendwie mitzunehmen. Das ist die große Kunst.
In der Abfahrt braucht man einen schnellen Ski, aber auch ein bisschen Glück. Vor allem im oberen Teil weht regelmäßig der Wind auf die Strecke. Wenn man im Gegensatz zur Konkurrenz ein paar km/h Gegenwind abbekommt, liegt man schnell einige Zehntelsekunden zurück.
Für die Wellen muss man auch etwas Können mitbringen, um effizient zu gleiten. In die Ciaslat-Wiese fährt man schließlich mit einer unheimlichen Geschwindigkeit hinein. Dort muss man den Schalter umlegen - vom gefühlvollen Gleiten zu schnellen und engen Kurven. Da ist die Technik besonders gefragt.
Die Kunst ist zu wissen, wie schnell man unterwegs ist und wie viel man bei den Buckeln mithelfen oder diese schlucken muss. Für mich war das immer am schwierigsten. Aleksander Aamodt Kilde und Steven Nyman sind darin Experten. Andererseits gibt es Fahrer, die sich im Laufe der Saison schwertun, in Gröden aber eine Macht sind.
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Der Schlüssel zum Erfolg: Reichelt analysiert die Saslong

Nach den Stationen in Lake Louise und Beaver Creek nimmt die Speed-Saison jetzt so richtig an Fahrt auf. Wen sollte man Ihrer Meinung nach besonders im Auge behalten?
Reichelt: Ich würde auf Thomas Dreßen tippen. In Lake Louise hat er ein starkes Comeback gefeiert. Dass er in Beaver Creek nicht vorne dabei war, hatte ich erwartet. Schließlich hatte er sich dort vor vier Jahren das Kreuzband gerissen, dazu waren die Sichtverhältnisse sehr schlecht. Da fällt es einem schwer, ans Limit zu gehen. Thomas' Leistung in Beaver Creek würde ich daher außen vor lassen. Im Laufe der Saison wird er sich aber sicher zurückmelden.
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Thomas Dreßen in der Abfahrt

Fotocredit: Getty Images

Beat Feuz habe ich für Gröden noch nicht auf der Rechnung, da er die Sprünge wegen seines Knies eher nicht mag. Im Hinblick auf die Klassiker und die Weltmeisterschaft ist mit ihm definitiv wieder zu rechnen. Er hat bislang wenige Tage auf Schnee verbracht, das hat man in den ersten Rennen der Saison gemerkt.
Wie steht es um die ÖSV-Läufer?
Reichelt: Aus österreichischer Sicht wurde Matthias Mayer bisher unter seinem Wert geschlagen. Er legt sicher noch zu. Bei Vincent Kriechmayr fällt es mir schwer zu sagen, wo ihn sein Weg hinführt. Material und Technik bereiten ihm gerade Probleme. Wenn er diese in den Griff bekommt, ist er aber wieder vorne mit dabei.
Die bisherige Saison trägt zwei Namen: Marco Odermatt und Aleksander Aamodt Kilde. Was unterscheidet die beiden Ausnahmeathleten?
Reichelt: Kilde hat eine brutale Fahrweise, bewegt sich immer am Limit und hat eine unheimliche Rohgewalt. Weil er ein enormes Kraftpaket ist, kann er sehr enge Schwünge fahren. Zudem verfügt er über eine ausgezeichnete Linienwahl. Im Vergleich zu Odermatt profitiert er davon, dass er schon so lange im Geschäft ist. Marco kennt die Abfahrtspisten wegen seiner geringeren Erfahrung noch nicht hundertprozentig, was ein kleiner Nachteil ist. In Gröden bin ich besonders auf ihn gespannt, weil ihm die Strecke überhaupt nicht entgegenkommt.
Das heißt: Wenn er dort schnell ist, überrascht er mich total. Ihn habe ich eher in Bormio und bei den Klassikern auf der Rechnung. Aber sollte er in Gröden vorne mitfahren, kann man dem Burschen schwer beikommen. Dann wird es für Kilde in Zukunft nicht einfacher, Odermatt Paroli zu bieten. Marco profitiert von seiner sehr ausgereiften Technik aus dem Riesenslalom und benutzt sie auch in der Abfahrt und im Super-G. Das macht ihn im Moment so stark.
Odermatt ist das komplette Gegenteil. Er ist ein Sunny Boy, lächelt immer und hat eine gewisse Lockerheit, die bei den Leuten sehr gut ankommt, quasi der Traum jeder Schwiegermutter.
Odermatt meinte vor Kurzem in einem Interview mit der Schweizer Tageszeitung "Blick", dass er jeden seiner Erfolge sofort auskosten will und auch mal spontan feiert - im Gegensatz zu Marcel Hirscher, der nach jedem Rennen bereits auf den nächsten Showdown fokussiert war. Wie beurteilen Sie die beiden Philosophien?
Reichelt: Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Die beiden sind auch sehr konträre Typen. Marcel war eher introvertiert, ist nicht direkt auf die Leute zugegangen. Odermatt ist das komplette Gegenteil. Er ist ein Sunny Boy, lächelt immer und hat eine gewisse Lockerheit, die bei den Leuten sehr gut ankommt, quasi der Traum jeder Schwiegermutter (lacht).
Wie haben Sie ihre Erfolge ausgekostet, Odermatt- oder Hirscher-like?
Reichelt: Ich war eher der Odermatt-Typ (lacht). Aber das ist natürlich nicht immer so. Wenn es Schlag auf Schlag kommt, weiß auch Odermatt, dass Feiern fehl am Platz ist. Das wird er sicher nicht machen, dafür ist er zu sehr Profi. Ich glaube aber, dass er zwischendrin mal ein Bier trinkt, darum ist er so locker. Dann passt das schon.
Wir schreiben Mitte Dezember - die österreichischen Läufer hinken bislang den Erwartungen hinterher. Wo fehlt es beim ÖSV?
Reichelt: Es gibt keine Dichte an Top-Läufern. Im Speed-Bereich haben wir letzten Endes drei Leute, die vorne mitfahren können. Kriechmayr ist nicht zu hundert Prozent in Form, Mayer und Daniel Hemetsberger konnten bereits jeweils einen Podestplatz einfahren. Otmar Striedinger ist immer für eine Überraschung gut. Dahinter wird es aber schwierig, da kommt ewig nichts. Vielleicht fährt jemand mal in die Punkte - aber es ist keine Dichte mehr vorhanden. In den letzten Jahren ist es verschlafen worden, ein Fundament aufzubauen. Wenn man in den Europacup schaut, ist dort ebenso die alte Stärke verschwunden.
Die Schuld daran gebe ich den Trainern. Teilweise sind die Leute - auch zu meiner Zeit - mit dem Erfolg der Topläufer mitgeschwommen und sind zu wenig auf die Jungen eingegangen. Viele kümmern sich auch nur um die eigenen Läufer, weil es einen internen Kampf unter den Trainern gibt. Viele Talente bleiben so auf der Strecke, weil sich die Coaches untereinander nahezu bekriegen.
Damit sind auch nicht alle Trainer gemeint. Es gibt ein paar schwarze Schafe, die lediglich auf sich und nicht auf das Team schauen.
Gibt es für diese internen Probleme eine kurzfristige Lösung?
Reichelt: Dieses System kann man nicht so einfach ändern. Ich glaube, dass die Verantwortlichen bereits daran arbeiten. Aber das Problem hat sich über Jahre hinweg eingeschliffen. Und damit sind auch nicht alle Trainer gemeint. Es gibt ein paar schwarze Schafe, die lediglich auf sich und nicht auf das Team schauen.
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Reichelt erklärt ÖSV-Krise: "Zu wenig um die Jungen gekümmert"

Marcel Hirscher und Van Deer haben in den letzten Monaten für viel Wirbel gesorgt. Wie beurteilen Sie den Hype um die neue Skimarke und ist dieser berechtigt?
Reichelt: Van Deer hat etwas Schwung in das Business gebracht. Der Hype selbst ist etwas übertrieben. Am Ende bauen Hirscher und Van Deer nur die Bretter. Die restlichen Teile wie Skischuhe oder Bindung kaufen sie zu. Das ist viel einfacher, als das ganze Paket zu produzieren. Das ist der Vorteil, den sie im Vergleich zu anderen Skimarken haben.
Im technischen Bereich ist es wesentlich einfacher, einen schnellen Ski herzustellen. Ich sage nicht, dass es keine Kunst ist, aber man stellt relativ schnell den Anschluss zur Spitze her. Das hat man bei Henrik Kristoffersen gesehen, der wieder vorne mitfährt. Bei Skiern, die funktioniert haben, kann man die Geometrie ausmessen. Und ansonsten besorgt man sich einfach einen alten Ski, schneidet ihn durch und schaut, wie er aufgebaut ist. Das ist relativ einfach.
Im Speed-Bereich ist es etwas schwieriger. Dort kann man den Ski nicht am Montag bauen und erwarten, dass er am Wochenende direkt funktioniert. Die Skier müssen mehrere Tage gewachst und gefahren werden, bis sie in Abfahrt und Super-G richtig abliefern können.
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Henrik Kristoffersen im Einsatz

Fotocredit: Getty Images

Romed Baumann, Thomas Dreßen und Josef Ferstl sind einige jener DSV-Läufer, die das Potenzial haben, regelmäßig in die Top 15 zu fahren. Was fehlt dem deutschen Team noch zum großen Wurf?
Reichelt: Die vergangene Verletzung von Dreßen ist zurzeit sicherlich ein Hindernis. Davor war er regelmäßig einer der Top-Favoriten. Romed hat in Cortina d’Ampezzo eine WM-Medaille geholt und ist immer für eine Überraschung gut. Ihm fehlt lediglich die Konstanz. Ferstl war auch verletzt. Ich glaube, dass die Verletzungen momentan noch eine große Rolle spielen. Die Läufer reden generell nicht darüber, wo ihre Probleme liegen. Man kann da nicht so tief blicken und die Gründe genau bestimmen.
Der DSV hat eine starke Mannschaft. Wenn Dreeßen, Baumann und Ferstl wieder in Form sind, pushen sie sich auch gegenseitig. Das macht ein gutes Team aus, so wird man besser. Das war bei uns im ÖSV früher genauso. Man hat sich an Leitfiguren wie Stephan Eberharter, Hermann Maier, Andreas Schifferer oder Hans Knauss orientiert und wollte mit ihnen als Junger mitkämpfen. So wird auch die ganze Mannschaft besser - das sieht man bei den Schweizern.
Sie sind am Wochenende als Eurosport-Experte beim Weltcup in Gröden mit von der Partie. Wie groß ist die Vorfreude auf den Einsatz am Mikrofon?
Reichelt: Die Vorfreude ist sehr groß. Die Zuschauer müssen mir verzeihen, wenn ich manchmal meinen Salzburger Dialekt rauslasse. Ich hoffe, dass ich den Ski-Fans Wissen und Hintergrundinformationen mitgeben kann und sie die Übertragung mit mir lustig finden. Sie sollen sagen: ‚Mit dem Hannes und Guido Heuber ist es cool, die Rennen anzuschauen. Es ist witzig mit den zwei Burschen.‘ Das ist mein Ziel.
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