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Werner Schuster im Eurosport-Interview zum Saison-Finale im Skispringen: "Das deutsche Team braucht mehr Dynamik"

Thomas Gaber

Update 23/03/2024 um 00:28 GMT+1 Uhr

Werner Schuster verantwortet als Cheftrainer Nachwuchs die Talenteförderung beim deutschen Skiverband (DSV). Der langjährige Bundestrainer und Eurosport-Experte zieht im Interview ein positives Fazit der abgelaufenen Weltcupsaison aus deutscher Sicht, spricht aber auch die schwierigen Umstände in der Jugendarbeit an. Außerdem verrät der Österreicher, was in seinem Heimatland alles besser läuft.

Kobayashi gewinnt Skiflug-Quali in Planica

Die Weltelite der Skispringer beendet mit dem Skifliegen in Planica die Saison (alle Wettbewerbe live bei Eurosport und discovery+). Aus dem deutschen Team stach diesen Winter in erster Linie Andreas Wellinger heraus, auch wenn ihm der ganz große Wurf verwehrt blieb.
Bei den restlichen deutschen Athleten gab es zu Saisonbeginn viel Licht, danach aber auch viel Schatten. Im exklusiven Interview mit Eurosport analysiert TV-Experte Werner Schuster die Leistungen von Wellinger und Co. und spricht über seine herausfordernde Arbeit als Cheftrainer Nachwuchs im DSV.
Dabei benennt der ehemalige Bundestrainer (2008-2019) die Probleme im Skisprungland Deutschland, auch im Vergleich zu Nationen wie Österreich oder Slowenien.
Außerdem hat Schuster eine klare Meinung zum Konflikt zwischen den Skisprung-Frauen und dem Weltverband FIS.
Herr Schuster, in der Qualifikation zum Skifliegen in Planica gab es einige Stürze im Auslauf, Eetu Nousiainen hat es böse erwischt. Waren die Bedingungen noch vertretbar?
Werner Schuster: Es war schon verantwortbar. Man braucht beim Skifliegen auch ein gewisses skifahrerisches Können, um diesen Hang runterzufahren. Die Jungs wollen weit runterfliegen und die besten Haltungsnoten rausquetschen. Das ist schon eine Stresssituation, gerade in Planica. Denn wenn man dort direkt nach der Absprungphase einen Fehler macht, kann das bitter enden, weil die Flugkurve deutlich höher ist als auf anderen Skiflugschanzen. Wenn die Aufmerksamkeit nach der Landung nicht mehr so da ist, kann das zum Sturz führen. Die Allerbesten, die sich ihrer Sache sicher sind, ziehen aber trotzdem voll durch.
In Planica findet das Finale einer langen, intensiven Saison statt. Aus deutscher Sicht gab es Licht und Schatten. Andreas Wellinger konnte überzeugen, ehe ihm auf der Raw Air Tour etwas die Luft ausging. Wie bewerten Sie seine Leistung?
Schuster: Fantastisch. Man darf seinen Werdegang nicht vergessen. Andi ist als ganz junger Bursche dazugekommen und hat schnell tolle Erfolge gefeiert. Dann kamen Verletzungen und ein Leistungstief. Das muss man erstmal aushalten als junger Sportler. Andi hat sich toll zurückgekämpft und die beste Saison seiner Karriere hingelegt. Er ist gereift, hungrig und hat noch viele gute Jahre in sich.
Man hat in Deutschland eine kleine Lücke aufgerissen. Es gibt durchaus Springer mit Potenzial, aber die Talente rennen uns nicht die Tür ein.
Beim Rest der Weltcup-Mannschaft um Karl Geiger, Pius Paschke, Stephan Lehye und Philipp Raimund sieht es etwas anders aus. Nach starkem Start folgte der Einbruch. Wie ist das zu erklären?
Schuster: Grundsätzlich war es eine gute Saison für die deutschen Springer. Man war bei den großen Events immer vorne dabei, hat Medaillen gewonnen und beendet die Saison auf Platz zwei in der Nationenwertung. Allerdings ist das nachlassende Leistungsvermögen im Laufe der Saison schon auffällig. Das ist zum ersten Mal passiert und beschäftigt die Verantwortlichen. Das Team wird immer älter und es würde helfen, wenn mehr Dynamik reinkäme, auch mit jüngeren Sportlern. Im Moment sind die Jungs noch leistungsfähig und wenn man aus der Saisonanalyse die richtigen Schlüsse zieht, werden die Deutschen auch nächstes Jahr wieder vorne mitmischen.
Hat der deutsche Skisprungsport ein Nachwuchsproblem?
Schuster: Man hat eine kleine Lücke aufgerissen. Es gibt durchaus Springer mit Potenzial, aber die Talente rennen uns nicht die Tür ein. Ich bin als Cheftrainer Nachwuchs zum DSV zurückgekehrt, um diese Problematik zudurchleuchten und ein paar Dinge anzuschieben. Wir müssen gemeinsam versuchen, an allen Hebeln zu drehen und mit engagierten Trainern und guten Strukturen diese Lücke möglichst schnell zu schließen. Wir dürfen die Situation nicht unterschätzen, aber man kann auch nichts erzwingen. Im Spitzensport gibt es immer wieder diese Wellen, damit haben auch andere Verbände zu kämpfen. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass die Quelle nicht versiegt.
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200 Meter, aber: Wellinger kommt nicht ins Fliegen

Woran liegt es, dass in Deutschland immer weniger Kinder leistungsmäßig Wintersport betreiben?
Schuster: Es kommen mehrere Faktoren zusammen. Das Angebot für Kinder und Jugendliche ist deutlich vielfältiger geworden. Es ist nicht mehr so leicht, die Kinder für sportliche Leistungen zu begeistern. Die Eltern müssen Opfer bringen, in Deutschland gibt es nicht an jeder Ecke Skisprungschanzen. Zudem hat die deutsche Politik in der Coronazeit massiv versagt. Es wurde im Vergleich zu anderen Ländern in Deutschland viel zu viel eingeschränkt. Hinzu kommt, dass der gesamte Wintersport infolge der Klima- und Schneeproblematik im Abwind ist. Man muss auf allen Ebenen Anstrengungen unternehmen, um das System zusammenzuhalten und die vielen positiven Dinge, die der Sport mit sich bringt, zu vermitteln.
Österreich hatte auch eine kleine Delle vor sechs, sieben Jahren. Aber man hat neuen Schwung aufgebaut und im Moment steht Österreich einzigartig dar - vielleicht besser denn je.
Im Vergleich zu Österreich hinkt Deutschland in Nachwuchsbereich gefühlt weit hinterher.
Schuster: Österreich hatte auch eine kleine Delle vor sechs, sieben Jahren. Da sind ein paar Springer zerschellt an der Generation Morgenstern, Schlierenzauer, Kofler, Koch und Loitzl. Aber man hat neuen Schwung aufgebaut und im Moment steht Österreich einzigartig dar - vielleicht besser denn je. Ich habe das durch meinen Sohn Jonas hautnah miterlebt. Österreich hat schon einen Standortvorteil. Es ist leichter zu organisieren, man hat kürzere Wege und im Herz der Alpen Anlagen wie Seefeld, Eisenerz oder Villach, die durchgehend einen Sprungbetrieb anbieten. Österreich hat eine spzielle Skisprungkultur. Es gibt immer wieder junge Trainer, die sich dafür begeistern. Das Paket passt, die Talente stehen sich sogar gegenseitig auf den Füßen. In Slowenien ist es mit dem tollen Trainingszentrum in Planica ähnlich. Für die anderen Nationen wird es nicht einfach, da den Anschluss zu halten. Deutschland hat auch noch genug Standorte und immer große Springer herausgebracht. Aber das wird für den DSV in den nächsten Jahren sicher kein Selbstläufer werden.
Mit Stefan Kraft ist auch der aktuelle Superstar Österreicher. Was macht er besser als alle anderen?
Schuster: Bei ihm passt alles zusammen. Stefan kommt aus einer sportbegeisterten Familie und ist sehr breit aufgestellt. Er hat hohes skifahrerisches Können, den optimalen Körperbau fürs Springen, eine grandiose Grundtechnik und ist auch mental sehr stark. Ein echter Wettkämpfer, ein Killer im positiven Sinn. Ich habe das Gefühl, dass er in dieser Saison zum ersten Mal die Anerkennung bekommt, die er schon lange verdient. Er ist drauf und ran, einen Rekord nach dem anderen zu brechen. Die Bestmarke an Podestplätzen von Janne Ahonen hat er schon ausgelöscht. Selbst die Marke von 53 Weltcupsiegen von Gregor Schlierenzauer, die als unantastbar galt, ist in Gefahr (Kraft hat 43, Anm. d. Red.). Ein außergewöhnlicher Sportler, der noch nicht fertig ist und noch ein paar Jahre auf hohem Niveau Skispringen kann.
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"Unglaublich!" Kraft fliegt zum zwölften Saisonsieg

Einer, der in dieser Saison gar keine Rolle gespielt hat, war Markus Eisenbichler. Immerhin konnte er zuletzt mit zwei Siegen im Continental Cup für positive Schlagzeilen sorgen. Sind Sie zuversichtlich, dass wir in der nächsten Weltcup-Saison wieder den 'alten Eisei' sehen?
Schuster: Das weiß ich nicht. Aber ich bin mir sicher, dass er sich nicht so vom Skispringen verbschieden möchte. Markus ist ein emotionaler Typ und hat die Spur zwischenzeitlich verloren. Es ist außergewöhnlich, dass da eine Zeit lang gar nichts ging. Aber er hat zuletzt gezeigt, dass er noch konkurrenzfähig sein kann. Das deutsche Team könnte einen starken Eisenbichler sehr gut gebrauchen. Ich bin auch davon überzeugt, dass man ihn im Weltcupteam mit offenen Armen empfangen würde. Er muss wieder konsequenter und stabiler arbeiten in der Vorbereitung, dann kann er die deutsche Mannschaft bereichern. Ich wünsche mir das auch, denn "Eisei" hat sehr viel geleistet für den deutschen Skisprungsport.
In dieser Woche kritisierten ein paar Frauen, allen voran Skiflug-Weltrekordlerin Silje Opseth, die FIS, weil die Männer in Planica ein ausgefallenes Springen nachholen dürfen, während die Frauen mit einem Wettbewerb auf der Normlaschanze 'abgespeist' werden. Das Frauen-Skispringen werde 'mit Füßen getreten und habe keinen großen Wert', lautete der Vorwurf. Können Sie die Kritik nachvollziehen? Wird da tatsächlich mit zweierlei Maß gemessen?
Schuster: Man muss diese Diskussion differenziert betrachten. Ich kann die Kritik in Teilen nachvollziehen, aber ich halte sie für völlig überzogen. Dass Eirin Maria Kvandal und Silje Opseth nicht in Planica sind, hat meines Erachtens andere Gründe. Beide kommen auf der kleinen Schanze nicht so gut zurecht. Aber das als Vorwand zu nehmen und gegen die FIS zu schießen, finde ich nicht richtig. Die Diskussion wird in der Öffentlichkeit sehr emotional geführt und man reduziert das immer auf die Gleichberechtigungsschiene. Sportfachliche Fragestellungen werden eher hinten angereiht. Ein paar Damen sind diesbezüglich in den letzten Tagen etwas übers Ziel hinausgeschossen. Das Produkt Frauen-Skifliegen muss noch weiterentwickelt werden und kann noch weiter wachsen.
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Kasai begeistert in Planica: Flugsaurier kratzt an 200-Meter-Marke

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