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Skispringen - Martin Schmitt im Exklusiv-Interview: Das sind die Vorteile des Weltcup-Auftakts auf Matten

Jonas Klinke

Update 05/11/2022 um 09:49 GMT+1 Uhr

Am Freitag startet die Skisprung-Saison in den WM-Winter, der erst im April endet. Allerdings landen die Athlet*innen beim Auftakt in Wisla nicht auf Schnee, sondern auf Matten. Der einstige Olympiasieger Martin Schmitt spricht exklusiv im Eurosport-Interview über die Besonderheiten des Matten-Events, die ungewöhnliche Saisonplanung der FIS und den Ski-Wechsel von Andreas Wellinger zu "Van Deer".

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Ein Weltcup-Auftakt auf Matten - was vor einigen Jahren noch unvorstellbar war, wird in Wisla Realität. Beim Saisonstart in Polen (vom 4. bis 6. November live im Free-TV bei Eurosport und bei discovery+) fahren die Springer*innen in einer Eisspur an und landen auf Matten.
Ein für viele ungewöhnlicher Anblick. Allerdings dürfte für die Fans und Zuschauer die Umgewöhnung deutlich größer sein als für die Aktiven selbst, denn diese kennen die Hybrid-Lösung aus dem Training. "Mittlerweile ist das Standard", erklärt Eurosport-Experte Martin Schmitt im Interview mit Eurosport.de: "Früher hat man noch Schnee im Norden Skandinaviens gesucht, um eine Schneevorbereitung zu machen. Dann folgte der Wechsel auf die Kombination aus Eisspur und Matten. Von da an sind wir häufig ohne klassische Schneesprünge in die Weltcup-Saison gestartet."
Aus Sicht des 44-Jährigen ist diese Hybrid-Lösung auch deutlich "vernünftiger", als Anfang November extra Schnee zu produzieren. Dass nach dem Auftakt eine dreiwöchige Pause folgt, kann der Team-Olympiasieger von 2002 jedoch nicht nachvollziehen.
Zudem spricht er im Interview über den Ski-Wechsel von Andreas Wellinger zur neuen Marke "Van Deer-Red Bull Sports" und erklärt, warum dem 27-Jährigen die neuen Skier entgegenkommen. Wunderdinge erwartet er von Wellinger und dem deutschen Team beim Saisonauftakt indes nicht.
Von Jonas Klinke
Herr Schmitt, wie hätten Sie reagiert, wenn Ihnen jemand während Ihrer aktiven Karriere gesagt hätte, dass Sie den Weltcup-Auftakt auf Matten absolvieren müssen?
Martin Schmitt: Heutzutage würde ich sagen, ich hätte ganz cool reagiert. Zu meiner Zeit als Springer und speziell in den Anfangsjahren wäre ich aber nicht super begeistert gewesen, weil ich mich eigentlich immer auf den Winter-Auftakt im Schnee gefreut habe. Ich hatte für mich auch immer das Gefühl, dass ich da anders performen kann. Doch die Zeiten haben sich einfach ein bisschen verändert. Für ein Experiment mit einem ganz frühen Weltcup-Start mit der Hybrid-Lösung und der Eisspur wäre ich offen gewesen. Einen Weltcup-Start mit einer Keramikspur hätte ich schwieriger gesehen.
Bedeutet die Hybrid-Lösung denn eine Umstellung für die Teams?
Schmitt: Mit der Eisspur hat man beim Schlüsselelement Absprungbewegung eigentlich die gleichen Bedingungen wie im Winter. Daher hat es sich auch bei uns im Laufe der Jahre als die Vorbereitungsmethode auf den Weltcup herauskristallisiert. Früher hat man noch Schnee im Norden Skandinaviens gesucht, um eine Schneevorbereitung zu machen. Dann folgte der Wechsel auf die Kombination aus Eisspur und Matten. Von da an sind wir häufig ohne klassische Schneesprünge in die Weltcup-Saison gestartet. Mittlerweile ist das Standard. Deswegen ist das für die Teams keine große Umstellung mehr.
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Was ist der größte Unterschied zwischen der Landung auf Schnee und der Landung auf Matten?
Schmitt: Bezüglich der Aufsprunghärte landet es sich ähnlich. Bei einem kompakten, eisigen Hang ist die Landung deutlich härter als auf der Matte. Dort landet es sich ganz fein. Die Matte ist gleichmäßiger. Es gibt keine Wellen oder Unebenheiten und somit auch keine Überraschungen bei der Landung. Schnee hat dagegen immer mal glattere oder griffigere Bereiche. Allerdings ist auf Matte kein Kurvenfahren möglich. Wenn der Ski beim Telemark etwas weg geht, rutscht der Ski weg, weil der Ski an der Seite keine Führung hat. Auf Schnee könnte man sich in solchen Situationen hingegen noch fangen. Dafür verschneiden die Skier auf Matten nicht so leicht.
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Karl Geiger in der Anlaufspur. Bei der Hybrid-Lösung wird auf einer Eisspur angefahren und auf Matten gelandet

Fotocredit: Getty Images

Was halten Sie persönlich von der Idee des Weltcup-Auftakts im Hybrid-System?
Schmitt: Es ist vernünftiger als mit ganz großem Aufwand Schnee für einen Schneeaufsprung zu produzieren. Das geben die Temperaturen momentan auch gar nicht her und das muss Anfang November auch nicht sein. Die Schanze wird diesmal aufgrund der Matten zudem deutlich besser präpariert sein als in den vergangenen Jahren. Was ich nicht verstehe, ist die Terminierung.
Warum?
Schmitt: Es gibt erst den Start und dann die dreiwöchige Pause, bevor es weiter geht. Die FIS wollte der Fußball-WM aus dem Weg gehen. Aber die WM läuft ja Ende November weiter. Daher hätte man wahrscheinlich auch später starten können. Aber der Weltverband hatte eben die Idee der Hybrid-Lösung und wollte vermeiden, dass zu spät auf Matte gestartet wird. Es besteht bei Schneefall das Problem, dass man nicht einfach reagieren kann. Es ist nicht möglich, eine Mattenschanze direkt mit Schnee zu präparieren. Der Schnee hält auf den Matten nicht, daher muss zunächst ein Netz gelegt werden. Wenn es Mitte November über Nacht zehn Zentimeter schneit, rutscht der Schnee runter und es sammelt sich im Auslauf ein Schneehaufen, sodass ein Springen gar nicht durchführbar wäre. Dies wollte die FIS vermeiden.
Die dreiwöchige Pause nach dem Auftakt ist allerdings nicht die einzige Besonderheit in diesem Winter, denn die Saison geht diesmal bis Anfang April. Was halten Sie von der Saisonplanung?
Schmitt: Grundsätzlich ist es fürs Skispringen gut, wenn lange gesprungen werden kann und der Sport lange präsent ist. Wir haben auch früher schon nach dem Weltcup-Finale noch eine Trainingsphase eingelegt, um nochmal auf Schnee zu springen. Aber die Saison wird natürlich sehr lang und Anfang April kann es auch recht warm sein. So war es in den vergangenen Jahren ja bereits häufig in Planica. Es ist ein Versuch, aber es wird kein Zukunftsmodell sein. Irgendwann ist mal gut mit Winter. Zumal man es ab Ende März auch nicht mehr garantieren kann. Es besteht die Gefahr, dass ein Weltcup-Finale dann ausfallen oder ein sehr hoher Aufwand betrieben werden muss, um die Schanze zu präparieren. Das ist in der heutigen Zeit aber nicht mehr Sinn der Sache.
Ein besonderer Auftakt wird Wisla auch für Andreas Wellinger, der im Sommer zur neuen Skimarke “Van Deer-Red Bull Sports” von Marcel Hirscher wechselte. Wellinger ist damit der erste “Van Deer”-Springer überhaupt. Wie sehen Sie den Wechsel?
Schmitt: Für Andreas sehe ich den Wechsel sehr positiv, weil er mit dem Ski-Modell sehr gut zurechtkommt. Das ist definitiv keine Marketing-Aktion. Der "Van Deer"-Ski ist eigentlich ein "Augment"-Modell mit anderem Design. In den vergangenen Jahren hat "Augment" im Weltcup immer mehr Fuß gefasst. Manuel Fettner hat mit diesen Skiern in seinem Karriere-Herbst nochmal einen Schritt nach vorne gemacht. Gewissen Springer-Typen hilft der Ski. Sie sind lebendiger und aktiver als die "Fischer"-Ski, die Andreas bisher gesprungen ist. Insbesondere im Übergang nach dem Absprung bekommt er mehr Feedback. Genau dort hatte er in den vergangenen Jahren Symmetrie-Probleme - und da tut ihm ein Ski, den er besser spürt, gut.
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Andreas Wellinger sprang bereits beim Sommer Grand Prix mit den "Van Deer"-Skiern. In Wisla wird die Marke von Marcel Hirscher ihre Weltcup-Premiere feiern

Fotocredit: Getty Images

Was trauen Sie dem deutschen Team beim Saisonauftakt in Wisla zu?
Schmitt: Ich traue den Deutschen einiges zu. Ich habe sie bei den Deutschen Meisterschaften gesehen und da sprangen sie auf einem soliden Niveau. Sie können sich vorne festsetzen, aber sie werden den Weltcup nicht von Beginn an dominieren. Gerade Andreas Wellinger, Karl Geiger und Markus Eisenbichler haben Top-Ten-Potenzial. Ob es bereits in Wisla für einen Sieg reicht, wird man sehen. Das hängt natürlich auch davon ab, ob ein Athlet schon direkt in einer Ausnahmeform ist.
Wer ist Euer Favorit für den Weltcup-Auftakt in Wisla?
Eine kleine Unbekannte gibt es allerdings vor dem Auftakt beim Material …
Schmitt: Genau, es gab im Sommer viel Bewegung mit einem neuen Anzug-Reglement. Dies wurde im Herbst nachgeschärft und es wurden einige Anzugschnitte untersagt. Einige Teams mussten nun im Vergleich zum Sommer ein bisschen umstellen und "abrüsten". Das deutsche Team ist davon allerdings nicht betroffen. Deswegen wird es spannend zu sehen, wie sich diese Veränderungen auswirken. Es ist für alle ein bisschen unklar, wo man tatsächlich steht.
Wie sehen Sie die Chancen der deutschen Skispringerinnen?
Schmitt: Selina Freitag hat sich gut entwickelt und einen Schritt nach vorne gemacht. Katharina Althaus muss sich noch den Feinschliff holen. Top-Ten-Niveau haben sie beide. Aber ums Podest oder den Sieg mitzuspringen, wird zum Saisonstart schwierig.
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Luft nach oben: Wellinger müht sich mit "Van Deer"-Ski in der Quali

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